Erste Siedlungen 

 

Schon vor über 4.000 Jahren gab es Besiedelungen an der Stelle, an der später Nauheim gegründet wurde. Die altzeitliche Siedlung wuchs und wurde wohl sehr wohlhabend, als die Kelten aus dem Wasser der auch heute noch sprudelnden Quellen Salz gewannen. In den letzten Jahren (ab etwa 1997) wurden bei archäologischen Grabungen im Zentrum der Stadt Teile einer riesigen keltischen Salinenanlage freigelegt, deren durch den Salzgehalt des Bodens gut konservierte hölzerne Leitungs- und Beckensysteme eine Salzgewinnung in bereits industriellem Maßstab dokumentieren.

Um 900 wurde Nauheim als „Niwiheim“ erstmals in einem Zinsregister des Klosters Seligenstadt erwähnt. Im 14. Jh. wurde die Saline erstmals erwähnt und gelangte zu Beginn des 18. Jh. zur Blüte. Die Einführung der Schwarzdorngradierung war entscheidend, denn somit konnte der Holzverbrauch drastisch reduziert werden.

 

Entwicklung als Heilbad 

 

 

In der Mitte des 19. Jh. entwickelte sich die Balneologie und Bad Nauheim wurde ein Heilbad für Herz- Kreislauf- Erkrankungen. 1823 versuchte man die Sole als Heilquelle zu vermarkten und schon 1826 konnte ein gewisses Renommee erworben werden. 1846 wurde der „Große Sprudel“ gefunden. Die Besonderheit lag in der Entdeckung und Anwendung der heilsamen Wirkung der natürlich vorkommenden Kohlensäure in der Thermalsole. 1854 erhielt Bad Nauheim Stadtrechte. Entscheidend für die Entwicklung der Stadt zu einem Kurbad von zeitweise internationaler Bedeutung war der Umstand, dass das seit 1806 kurhessische Nauheim im Jahre 1866 infolge des preußisch-österreichischen Krieges und der Annexion des Kurfürstentums Hessen-Kassel durch Preußen im Zuge eines Gebietsausgleichs an das Großherzogtum Hessen-Darmstadt fiel. Der großherzogliche Hof förderte den Ausbau der Kureinrichtungen in Bad Nauheim intensiv und unter Einsatz enormer finanzieller Mittel. 1869 erhielt die Stadt den Namenszusatz „Bad“. Vom 16. Juli bis 29. August 1898 verweilte Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn zu einer Badekur in Bad Nauheim.

Als Kurort hatte Bad Nauheim um 1900 Weltrang mit Tausenden von Gästen. Die Kur diente nicht nur gesundheitlichen Zwecken, sondern auch der Geselligkeit mit internationaler Prominenz. Die gewandelten hygienischen und ästhetischen Vorstellungen machten um die Jahrhundertwende die Einrichtung neuer Badehäuser unumgänglich. Großherzog Ernst Ludwig zu Hessen und bei Rhein, in dessen Großherzogtum Bad Nauheim lag, war fortschrittlich und kunstsinnig. Der Großherzog dachte auch wirtschaftlich, so sollte Kunst und ein viel versprechender Wirtschaftszweig nach dem Motto werden: „Mein Hessenland blühe und gedeihe und in ihm die Kunst.“ Bad Nauheimer Neubauten sollten dies anschaulich machen.

Unter der Leitung des Großherzoglichen Regierungsbauinspektors Wilhelm Jost kommt es zwischen 1901/1902 bis 1912 zu einer einheitlichen Gestaltung der Bade-, Kur- und Wirtschaftsanlagen. Zunächst erbaute Jost 1902 inmitten des Kurparks ein Inhalatorium, heute Stadtbücherei.

Zwischen 1905 und 1912 erbaute Jost als neues Herz der Kuranlagen den Sprudelhof, Bad Nauheims Wahrzeichen und wichtigstes Baudenkmal. Der riesige Gebäudekomplex, der um die drei als Sprudel aus der Erde tretenden, von Jost neu gefassten heißen Heilquellen gruppiert ist, beherbergt insgesamt 240 Badezimmer, darunter luxuriös ausgestattete Fürstenbäder. Mit seinen reich verzierten Badehäusern, den üppig ornamentierten Wartesälen und Schmuckhöfen zählt er zu den eindrucksvollsten Zeugnissen des deutschen Jugendstils. Schmuckhöfe und Warteräume der sechs Badehäuser wurden individuell mit zahlreichen künstlerischen Details gestaltet. Die Ornamentik der Brunnen, Figuren und Dekore bezieht sich auf das Wasser als gesundheitsspendende Kraft. Besonders eindrucksvoll sind die prachtvollen Glasmalereien der vielen hundert Jugendstilfenster. Um einen möglichst effizienten Ablauf des Kurbetriebs zu gewährleisten und das elitäre Publikum nicht durch Reinigungs- und Transportarbeiten in seiner Erholung stören zu müssen, wurde der Sprudelhof mit einem komplexen Labyrinth unterirdischer Anlagen versehen; sämtliche Badewannen konnten, für die Kurgäste unsichtbar, nach Gebrauch mechanisch in den Böden der Badehäuser versenkt werden, um in den Versorgungsgängen gereinigt zu werden. Über lange Verbindungsstollen wurden die notwendigen Versorgungsgüter unterirdisch in den Sprudelhof gebracht und sogar die beim Badebetrieb anfallende Wäsche zu einer außerhalb der Innenstadt gelegenen Großwäscherei transportiert.

Zwischen 1910 und 1912 entstand die Trinkkuranlage. Die hufeisenförmige Anlage umschließt einen Innenhof mit einer Trinkhalle, Wandelgängen und einer großen Konzertmuschel, der ein rechteckiges Wasserbecken vorgelagert ist. Am Ende der westlichen Wandelhalle befindet sich der Kurbrunnen. Mit einem Gang verbunden ist die Trinkhalle in deren Mitte ein achteckiger Brunnen mit goldener Kuppel und Bekrönung heilkräftige Wasser spendet.

Auch das 1862–64 erbaute Kurhaus wurde in dieser Zeit umgestaltet und ausgebaut: Terrasse und Kurgarten wurden erweitert, ein Musiktempel errichtet. Ein reich mit abstrakten und figürlichen Jugendstil-Malereien geschmückter Konzertsaal wurde erbaut. Um das Stadtzentrum mit den Kuranlagen entstanden Villenviertel und zahlreiche luxuriöse Hotelneubauten, darunter mit „Carlton“, „Bristol“, „Waldorf-Astoria“ und „Kaiserhof“ große Etablissements internationaler Hotelkonzerne. Unter der Leitung Josts entstand auch eine für jene Zeit äußerst fortschrittliche technische Infrastruktur; Bad Nauheim erhielt u. a. ein eigenes Elektrizitätswerk und ein Heizwerk, das die größeren Gebäude im gesamten Stadtgebiet mit Fernwärme versorgte. Die dazu erforderlichen Einrichtungen wurden in einem von Jost entworfenen Jugendstil-Gebäudekomplex zusammengefasst, der annähernd unverändert erhalten geblieben ist und mit seiner Einmaligkeit ein bedeutendes Architekturdenkmal darstellt.

Jahrzehnte lang kamen prominente Gäste zur Kur. Bereits 1859 hatte sich Otto von Bismarck in Bad Nauheim einer Wasserkur unterzogen; nach 1871 folgten u. a. das deutsche und das österreichische Kaiserpaar, der bulgarische Zar Ferdinand I., Alfred Krupp, August Bebel, Richard Strauss und Karl May. 1891 hielt sich der damals neunjährige spätere US-Präsident Franklin D. Roosevelt mit seinen Eltern für mehrere Monate in Bad Nauheim auf und besuchte sogar für einige Zeit die öffentliche Volksschule, an deren Gebäude heute eine Gedenktafel auf den berühmten Schüler hinweist. Besonderes Aufsehen erregte im Jahre 1910 der Kuraufenthalt der russischen Zarenfamilie; eine um 1900 geweihte russisch-orthodoxe Kirche mit bis heute aktivem Gemeindeleben erinnert an die Beliebtheit der Stadt bei Kurgästen aus Osteuropa.

In der Weimarer Zeit behielt Bad Nauheim seinen Ruf als mondänes Luxusbad; neben zahlreichen Mitgliedern des exilierten russischen Hochadels fanden sich bald auch wieder Prominente aus den USA in Bad Nauheim ein, darunter die Schauspielerinnen Marion Davies und Lillian Gish sowie der Pressemagnat William Randolph Hearst. Zu ihnen gesellten sich Berühmtheiten wie Albert Einstein, Erich Kästner, Rabindranath Tagore und Hans Albers. In den eleganten Hotelbars spielten bekannte Tanzorchester der Weimarer Zeit, darunter das in Bad Nauheim gegründete Orchester Bernhard Etté; auch die Comedian Harmonists gastierten in der Stadt.

In Bad Nauheim spielten auch zahlreiche Schachspieler wie etwa Tal, Keres und Aljechin ihre Partien.

Während des Zweiten Weltkriegs wurden in den Kureinrichtungen und mehreren beschlagnahmten Hotels große Lazarette eingerichtet, darunter auch solche für kriegsgefangene alliierte Offiziere. Vermutlich aus diesem Grunde blieben Luftangriffe auf die Stadt weitestgehend aus. Bad Nauheim überstand den Krieg ohne nennenswerte Schäden und verfügte über eine intakte Strom- und Wärmeversorgung. In den ersten Nachkriegsmonaten richteten sich daher mehrere militärische und zivile Verwaltungsstellen der US-Zone in Hotels und Villen ein, darunter die Nachrichtenagentur DANA, eine Vorläuferinstitution der dpa. Auch der Hessische Rundfunk begann seinen Sendebetrieb aus Studios in Bad Nauheim.

In den 50er Jahren erlebte der Glanz des Prominentenbades eine kurze Renaissance: von Oktober 1958 bis März 1960 lebte der formell im benachbarten Friedberg als Soldat stationierte Elvis Presley in Bad Nauheim. 1959 hielt sich Saud ibn Abd al-Aziz, König von Saudi-Arabien, mit großem Hofstaat in der Stadt auf; in den 60er Jahren folgten viele weitere Würdenträger aus dem arabischen Raum. Unterdessen wandelte sich jedoch das Gesicht der Stadt. Durch die neu geschaffenen Sozialsysteme wurden Kuraufenthalte in großem Umfang auch ärmeren Bevölkerungsschichten zugänglich gemacht. Die Zahl der Kurgäste stieg daher enorm, mehrere große Kliniken der Sozialversicherungsanstalten wurden gebaut, während der Ruf der Stadt als Treffpunkt der internationalen High Society allmählich verblasste.

Infolge der Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen verlor auch der Krankenkassen-Kurbetrieb seit Mitte der 80er Jahre mehr und mehr an Bedeutung; neue Behandlungsmethoden der Heilung von Herz-Kreislauferkrankungen machten die teuren Kuraufenthalte medizinisch überflüssig. Seinen Status als Gesundheitsstadt sichert Bad Nauheim heute vorwiegend durch mehrere große Krankenhäuser und Spezialkliniken. Die Herzforschung und damit verbundenen Kongresse und Tagungen haben hier eine lange Tradition; die Stadt beherbergt u. a. das Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung (W.G. Kerckhoff-Institut).

 

Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Bad_Nauheim